Wie ARLnow seine KI-Strategie von Automatisierung zu Augmentierung änderte
Manchmal lässt sich von kleinen begrenzten Experimenten eine Menge lernen: Was funktioniert bei Gen AI im Lokaljournalismus? Und was funktioniert (noch) nicht?
Links: Eine Abo-Aufforderung auf der ARLnow Website für den neuen Premium-Newsletter ProUpdate. Rechts: Eigentümer und Betreiber Scott Brodbeck
Im Januar 2025 startete ARLnow ProUpdate - einen KI-gestützten Premium-Newsletter mit automatisierten Zusammenfassungen lokaler Nachrichten für zahlende Abonnenten. Dieser Newsletter wird mit menschlicher Aufsicht und sorgfältiger Qualitätskontrolle produziert. Und mit Erkenntnissen aus einem der interessantesten Pionier-Experimente mit Gen AI im amerikanischen Lokaljournalismus.
ARLnow ist die Flaggschiff-Site von Local News Now (LNN), einem 2010 gegründen digitalen Lokalmedium. LNN erreicht mittlerweile 2,4 Millionen monatliche Leser, die etwa 85 Millionen Seiten pro Jahr, verteilt auf drei Websites in Nord-Virginia aufrufen: Arlington (ARLnow), Alexandria (ALXnow) und Fairfax County (FFXnow). LNNs durchdachter KI-Ansatz spiegelt mühsam erworbene Erfahrungen darüber wider, was Gen AI im Journalismus leisten kann und was (noch) nicht.
Die aktuelle KI-Strategie
Die Flaggschiff-Website ARLnow nutzt künstliche Intelligenz in einem Dutzend verschiedener Funktionen. Das aktuelle KI-Toolkit umfasst Interview-Transkription, Grammatikprüfung, automatisierte Terminkalender-Bewertung, Social-Media-Optimierung, Wettervorhersage-Texte basierend auf Daten des Nationalen Wetterdienstes, Emoji-Auswahl für Posts und Artikel-Zusammenfassungen für den internen Gebrauch.
Für ProUpdate setzt LNN OpenAIs GPT-4o-Modell ein, sowohl für die Text- als auch Audio-Zusammenfassungen von ARLnows Original-Berichterstattung "Der Pro Update Newsletter hat keine Display-Werbung, größere Fotos und kurze KI-generierte Artikel-Zusammenfassungen, sodass Mitglieder schnell die Tagesnachrichten erfassen können, ohne jeden Artikel einzeln anklicken zu müssen", erklärte mir Eigentümer und Betreiber Scott Brodbeck gestern per E-Mail. Die Metriken sind beeindruckend: 75-80% Öffnungsraten und 10-30% Klickraten. Damit wird der Standard-Tages-Newsletter in beiden Kategorien um 20-50% übertroffen.
Press Club ist das neuere kostenpflichtige Level von ARLnow. Die Einnahmen stammen weiterhin weit überwiegend aus Werbung auf der freien Website.
Entscheidend für den Einsatz von KI ist absolute Transparenz. "Wir legen offen, dass die Zusammenfassungen mit KI erstellt werden", erklärte Brodbeck. Reporter have mehr Zeit für Recherche und das Schreiben von Originalbeiträgen, anstatt mehrere Versionen ihrer eigenen Artikel verfassen zu müssen.
Weitere geplante KI-Anwendungen sind unter anderem die automatisierte Erstellung wöchentlicher Ausgeh-Tipps basierend auf Terminkalender-Daten und die Optimierung gesponserten Contents für lokale Werbetreibende. Das Unternehmen hat auch ein Content-Klassifizierungssystem entwickelt, das Artikel mit beträchtlicher Genauigkeit kategorisieren kann, obwohl dies hauptsächlich für die interne Organisation geschieht.
Aufschlussreich ist, was ARLnow explizit vermeidet. Die Redaktion testete KI-Tools zum Schreiben von Nachrichtenartikeln basierend auf Pressemitteilungen, fand aber keine, die veröffentlichungsreife Ergebnisse lieferten. "Menschen sind ehrlich gesagt bessere und interessantere Schreiber, die lokalen Kontext zu Geschichten hinzufügen können. Damit tut sich KI schwer", betonte Brodbeck letzte Jahr in einem KI-Grundsatz-Post. ARLnow vermeidet auch, KI für E-Mail-Kommunikation zu nutzen und bevorzugt "eine persönlichere Note".
Für die Zukunft sieht Brodbeck das Potenzial von KI über Inhalte hinaus. "Worauf ich mich jetzt wirklich freue, ist KI-Code-Generierung und Vibecoding — das wird uns erlauben, eine Menge cooler Sachen für Leser, Werbekunden und uns selbst zu entwickeln, die vorher finanziell oder technisch nicht machbar waren", sagte er mir.
Dieser durchdachte Ansatz spiegelt auch Erkenntnisse aus ARLnows Position als einer der frühen Pioniere vollautomatisierter KI-Newsletter-Produktion wider — ein Experiment, das mit sehr genauer Definition und anfänglichen Hoffnungen begann, aber letztendlich aufgegeben werden musste.
Die Business-Grundlage
Um ARLnows KI-Historie zu verstehen, hilft es, die wirtschaftlichen Zwänge zu berücksichtigen, die das Unternehmen konsistent geprägt haben. Local News Now operiert als gewinnorientiertes Unternehmen in einem herausfordernden Markt, wobei Mitgliedschaften "weniger als 10% unserer Einnahmen, vielleicht sogar weniger als 5%" ausmachen, wie Gründer Scott Brodbeck in einem Podcast-Interview im November 2024 erklärte. Stattdessen hat das Unternehmen Nachhaltigkeit durch Werbe-Diversifizierung erreicht — "kein einzelner Werbetreibender hat mehr als 1% unserer Einnahmen", was redaktionelle Unabhängigkeit ermöglicht.
Die Realität knapper Ressourcen erklärt, warum KI-Automatisierung 2023 so verlockend schien. Damals betreib Brodbeck drei Websites mit insgesamt nur zehn Mitarbeitern. Das Unternehmen hat sich seitdem durch die Übernahme des GazetteLeader im September 2024 vergrößert und die Redaktion um zwei Journalisten auf nunmehr neun erweitert, aber wie Brodbeck im November 2024 bemerkte: "Das Verhältnis unseres monatlichen Durchschnitts-Umsatzs in Bezug auf unsere Ausgaben ist immer noch ungefähr das Gleiche.”
Das automatisierte Newsletter-Experiment
Im April 2023 versendeten die drei Websites ARLnow, ALXnow und FFXnow bereits automatisierte Nachmittags-Newsletter an insgesamt 36.000 Abonnenten, aber Brodbeck wollte für ARLnow noch eine zusätzliche Morgen-Ausgabe mit mehr persönlichem Charakter starten. Aber dafür gab es in der Redaktionen keine Kapazitäten.
Seine Lösung: ein vollautomatisierter Morgen-Newsletter powered by ChatGPT. Von der Idee bis zum Start brauchte er nur zwei Wochen für die Entwicklung, wobei Brodbeck täglich nur wenige Stunden dem Projekt widmete. Der Workflow: GPT-4 APIs integriert mit Zapier, Airtable und RSS-Feeds identifizierte per Google Analytics die bestperformenden Artikel des Vortages und generierte daraufhin drei bis vier Zusammenfassungen mit einer Einleitung. GPT-4 programmierte sogar die CSS-Formatierung.
Brodbeck war von Anfang an offen in puncto Beschränktheit und sagte damals Nieman Lab, dass ein menschlicher Journalist "natürlich besser schreiben würde als das aktuell eingesetzte Sprach-Modell". Aber für eine kleine Redaktion lautete die Frage eher, ob Leser die KI-Variante für ihre "lokalen Lesebedürfnisse gut genug" finden würden.
Der Newsletter war klar als experimentell gekennzeichnet und erforderte aktives Opt-in. Wenige Monate nach dem Start hatten etwa 150 Nutzer abonniert, mit Öffnungsraten zwischen 65-70% - höher als die Nachmittags-Ausgabe. Klickraten lagen nur 25% niedriger trotz vollständiger Zusammenfassungen im Newsletter.
Aber die KI hatte Schwierigkeiten mit dem Zeitkontext und schrieb mitunter über alte Stories als wären es aktuelle Nachrichten. Der Ton lag häufig daneben und es gab gelegentliche faktische Ungenauigkeiten.
Das KI-Experiment fiel mit einer anderen Kontroverse zusammen. Anfang 2024 kritisierten Nutzer ARLnow wegen der Nutzung KI-generierter Bilder zur Illustration von Immobilien- und lokalen Business-Stories auf Instagram. Als ARLnow Leser befragte, sagten 48%, sie lehnten KI-Bilder "unter allen Umständen" ab.
ARLnow reagierte mit dem Stopp KI-generierter Illustrationen und vergab Aufträge an menschlichen Illustrationen.
Bis Juni 2024 blieb trotz solider Engagement-Metriken das Abonnentenwachstum des automatisierten Newsletters minimal auch bei aktiver Bewerbung, und das System erforderte immer noch Überwachung, Wartung und API-Gebühren.
Im gleichen Monat stellte ARLnow das Experiment ein mit der Schlussfolgerung, dass "die meisten Leser mehr an einfachen Schlagzeilen von Geschichten interessiert sind, die heute passierten, als an persönlichen Zusammenfassungen von Dingen, die gestern passierten".
Strategische Wende zu KI als Ergänzung
Das gescheiterte Newsletter-Experiment lehrte ARLnow, dass KI am besten als Verstärkung funktioniert, nicht als Ersatz. Brodbeck reflektierte gestern: “Aus technischer Sicht funktionierte das System gut, aber es hatte als eigenständiger KI-Newsletter einfach nicht die nötige Nutzerakzeptanz."
Ich fragte Brodbeck nach den Learnings aus diesem Experiment. Seine Antwort: "KI hilft uns, einige Dinge wie Artikel-Zusammenfassungen und effizientes Hinzufügen von eingereichten Veranstaltungstipps zu unserem Terminkalender. Diese Optimieruungen des Worksflows erlauben unserem Team, mehr Aufmerksamkeit auf ihre Kernverantwortlichkeiten zu richten, wie berichten oder Werbeplätze verkaufen."
Sein Rat für andere kleine Redaktionen: "Nutzt generative KI primär für Zusammenfassungen — sie macht das viel besser als komplette Artikel zu generieren."
Der breitere Kontext
ARLnows derzeitiger Einsatz von KI als Ergänzung spiegelt eine breitere Tendenz im amerikanischen Lokaljournalismus wider: Mehr interne Experimente, mehr Zurückhaltung auf der publikumszugewandten Seite: Minnesota Star Tribune nutzt KI, um Daten in ihrem Jahrzehnte alten Archiv besser zu verarbeiten, behält aber strikte redaktionelle Kontrolle. Baltimore Banner entwickelte ein KI-Taxonomie-System, das 84% Genauigkeit bei der Content-Klassifizierung erreichte, nutzt es aber für interne Organisation statt für öffentlich sichtbare Inhalte. Village Media in Kanada betreibt KI-gestützte Community-Engagement-Tools auf 34 lokalen Sites, konzentriert sich aber auf Unterstützung von Engagement statt Content-Generierung.
Technologie als Wettbewerbsvorteil
Interessanterweise nutzt ARLnow erfolgreich seine KI- und Technologie-Expertise als weiteren Business-Zweig. Das Unternehmen bietet technischen und Business-Support Unterstützung für drei seiner Partner-Sites im Großraum Washington DC - - PoPville, MoCoShow, and Potomac Local - jede mit 1-2 Millionen Seitenaufrufen pro Monat.
"Aus redaktioneller und Business-Perspektive skalieren Lokalnachrichten nicht. Aber die Technologie-Seite skaliert definitiv", erklärte Brodbeck im November 2024. Dieses Technologie-Lizenzierungs-Modell bietet zusätzliche Einnahmen bei Beibehaltung redaktioneller Unabhängigkeit — die Partnerschaften sind "strikt auf der geschäftlichen und technologischen Seite" ohne redaktionelle Überschneidung.
Warum ist die ARLnow Case Study relevant?
Die Erkenntnisse aus ARLnows wegweisendem aber letztendlich gescheitertem Automatisierungs-Experiment und aus seiner aktuellen erfolgreichen KI-Integration bieten eine Roadmap für andere Lokalmedien:
Kommuniziert transparent: ARLnow kennzeichnete den Newsletter klar als experimentell und erforderte Opt-in statt automatisches Hinzufügen. Diese Transparenz half, Erwartungen zu managen und echtes Feedback zu sammeln.
Startet klein und eingegrenzt: Das Experiment war auf einen zusätzlichen Newsletter beschränkt, was kontrollierte Tests ermöglichte ohne das Hauptgeschäft zu gefährden.
Plant für Erfolg und Misserfolg: Brodbeck hatte Erweiterungspläne, falls der Newsletter erfolgreich wäre (Ausrollung auf andere Sites, Hinzufügung von Sponsoring), aber auch klare Kriterien, wann er ihn einstellen würde.
Technologie als Business-Model: Wenn selbst entwickelte KI-Tools sich im eigenen lokalen Medienunternehmen bewähren, könnten sie auch für andere Lokalmedien interessant sein.
Am wichtigsten: Widersteht der Versuchung, KI als Personallösung zu nutzen. ARLnows Erfahrung legt nahe, dass KI am besten funktioniert, wenn sie menschliche Journalisten befreit, mehr Journalismus zu machen, nicht wenn sie versucht, Journalismus selbst zu ersetzen.
Die Technologie kann Arbeitsabläufe beschleunigen und Routineaufgaben handhaben, aber sie kann nicht das lokale Wissen und die redaktionelle Urteilskraft replizieren, die Leser von ihrem Lokalmedium erwarten. Für ARLnow hat diese Erkenntnis zu einer nachhaltigeren und effektiveren KI-Strategie geführt — eine, die menschliche Fähigkeiten verstärkt.
Benutzte Tools für diesen Newsletter:
Otter.ai: Podcast-Transkription
Claude 4.0 Sonnet Pro: Recherche und Text-Rohfassung