Wie bei Every Journalismus und KI-Produktentwicklung ineinander greifen
Das New Yorker Medienunternehmen bietet lesenswerte Tech-Essays per Newsletter, nützliche KI-Tools in seinem Software-Lizenz-Shop und lukrative Unternehmensberatung
Every ist ein hybrides B2B- und B2C-Medienunternehmen, das von KI durchdrungen ist. Das journalistische Angbebot reicht von Newslettern mit Essays, Analysen, Reverse Engineering-Berichten (“ I Created a Hacker-News Simulator to Reverse-Engineer Virality”) bis zu handfesten Anleitungen für Tools und Prompts. Stilistisch und inhaltlich zwischen Wired und The Atlantic, aber viel enger fokussiert auf das Thema Künstliche Intelligenz.
Spannend ist an Every aber nicht nur der exzellente Journalismus, sondern auch das, was außerdem damit geschieht. Every startete 2020 ursprünglich als ein reines Medienunternehmen. Inzwischen hat das New Yorker Startup auch einen integrierten Software as a Service Bereich (SaaS), gibt KI-Kurse und macht KI-Beratung für Unternehmen. Alles greift ineinander und baut aufeinander auf. Das Unternehmen beschäftigt zwölf Angestellte in Vollzeit und etwa 30 freie Mitarbeiter.
Die Gesamtreichweite des kostenfreien Contents ist naturgemäß am größten mit mehreren Millionen pro Jahr. Die Newsletter hinter der Paywall erreichen rund 100.000 zahlende Abonnenten. Etwa fünf Prozent aller Nutzer konvertieren zu zahlenden Abonnenten, wie Kate Lee Anfang Mai bei der Newsletter Conference in New York verriet.
Zur Zielgruppe von Every gehört die an Technologie interessierte Öffentlichkeit, aber auch eine lukrative Business-Zielgruppe mit Gründern, Investoren und Führungskräften in Tech- und Medienunternehmen. Nach oben verjüngt sich die Pyramide mit Schulungen für rund 1000 bis 2000 Dollar und Consulting-Verträgen z.B. für die Entwicklung und unternehmensweite Einführung spezieller Tools in Firmen.
Ganz an der Spitze der Pyramide ist die Luft sehr dünn aber auch sehr lukrativ mit Vorträgen und strategischen Beratungen für fünf- bis siebenstellige Beträge. Das passiert aber nur einige Male im Jahr. Die eingenommen Umsätze werden wieder in Journalismus investiert, was zu einem positiven Kreislauf führt. Bisher ist das Wachstum fast ausschließlich organisch, ohne Investitionsrunden von Risikokapitalgebern.
Der Every Masterplan mit aufeinander aufbauenden Business-Zweigen Quelle: Every Website
Wie hat es Every geschafft, das Unternehmen strategisch so effizizient zu verzahnen? Oder anders gefragt: Warum verwertet nicht jedes Medienunternehmen Inhalte auch als Produkte, über klassische Abo- und Werbefinanzierung hinaus? In der Praxis ist das leichter gesagt als getan. Bei Every kommen mehrere Faktoren zusammen, die Verticals (Vertiefung von Expertise und Angeboten zu einem Thema) und die Lizensierung neuer Produkte ermöglichen.
Produktdenken: Die beiden Gründer Dan Shipper und Nathan Baschez sind Journalisten und Programmierer (Nathan ist inzwischen nicht mehr bei Every, sondern betreibt das Tool Lex in einem abgespalteten Unternehmen). Aus den zahlreichen Fragen zu KI-Tools und Tech-Support für die Community entstanden die KI-Beratungsagentur und die Software-Produktlizensierung. “Wir bewegen uns einem Bereich, wo die Aufgabe, über etwas zu schreiben, und die Aufgabe, etwas zu bauen”, zunehmend miteinander verschmelzen”, verriet Dan Shipper vor zwei Monaten der Chefrunde Study Tour in New York.
Unternehmer unter einem Dach: Einige freie Mitarbeiter sind am Unternehmenserfolg beteiligte “entrepreneurs in residence” mit unterschiedlich ausgeprägten Expertise-Schwerpunkten Journalismus, Wirtschaft Software-Entwicklung oder Beratung. Sie verfolgen ihre eigenen Ideen, von denen sie selbst pfofitieren, aber auch Every. Die Newsletter-Autoren erhalten ein Honorar, sind aber zusätzlich auch anteilig am Erfolg von Every beteiligt. Ihr Bonus steigt mit den Abonnentenzahlen.
Tool-Suite für den Workflow: Die Every-Redaktion ist ein Autorenkollektiv und zugleich auch ein Testlabor für neue Tools. Wenn sich ein Tool im internen Gebrauch bewährt und Marktpotential hat, wird daraus ein SaaS-Produkt. Bisher sind das die folgende Tools:
Lex: KI-gestützte kollaborative Editing-Plattform
Cora: E-Mail-Verwaltungstool, das wichtige E-Mails filtert, andere archiviert und Zusammenfassungen von nicht dringenden Mitteilungen liefert. Für Cora gibt es derzeit eine Warteliste
Spiral: Promptbasiertes Tool, das Inhalte zwischen Formaten umwandelt (zum Beispiel Podcasts zu Social-Media-Posts oder lange Textbeiträge in kürzere für LinkedIn etc.)
Sparkle: Tool zur Organisation von Dokumenten und Ordnern im Desktop, Sortierung nach “Recents” und “Archives” (bisher nur für MacOS)
Attraktives Abopaket: Für 20 Dollar pro Monat oder 200 Dollar pro Jahr gibt es Zugang zu allen Essays, Analysen und Tipps auf der Website, zum Newsletter, zu allen Tools und zur Community auf der Plattform Discord.
Erweiterung des Abomodells: Nur etwa 30-40 Prozent der zahlenden Abonnenten nutzen bisher die inbegriffenen Tools, wobei Lex am beliebtesten ist. Mit Sparkle als erstem einzeln abonnierbaren Tool (5 Dollar/Monat, 50 Dollar/Jahr, 199 Dollar dauerhaft) erprobt Every jetzt ein Modell, um Tool-Interessenten außerhalb des Every-Kosmos zu erreichen.
Experiment-fokussierter positiver Kreislauf: Essays, Analysen und praktische Tipps zu KI ziehen Publikum an, Software-Lizensierung und -Beratung sorgt für hohe Gewinnspannen und der gesamte Zyklus generiert wieder neue Autoren.
“Unsere Autoren experimentieren mit den Tools, wir bauen sie und schreiben darüber, dann teilen wir sie mit der Community und bündeln sie in Abos”, betonte Kate Lee.
Fazit: Bei Every sitzen nicht nur die Gründer in einem Inkubator und die Entwickler im Labor, sondern das gesamte Team ist von Experimentierwillen durchdrungen. Dabei hilft es, dass auch die Autoren finanziell am Erfolg des Unternehmens beteiligt sind. Und nicht zuletzt ist das Fundament für dieses Modell ganz simpel und klassisch: erstklassiger Journalismus, der sein Geld wert ist.